Zunächst ist es ja ein BAG-Papier
Antrag: | Upgrade: Innovationspolitik für die sozio-ökologische Transformation |
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Antragsteller*in: | Jakob Ache (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 19.04.2021, 17:28 |
Antrag: | Upgrade: Innovationspolitik für die sozio-ökologische Transformation |
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Antragsteller*in: | Jakob Ache (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 19.04.2021, 17:28 |
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen will darauf hinwirken, dass Bündnis 90/DIE GRÜNEN will eine Neuausrichtung der F&I-Politik gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Gruppen einleiten, denn Innovationen sind ein
Deutschlands Innovationskraft ist eine wesentliche Voraussetzung für Wohlstand
und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Jetzt brauchen wir sie für die
sozialökologische Transformation. Daher plädieren wir im vorliegenden Papier für
ein Update der deutschen Forschungs- und Innovationspolitik (F&I-Politik), Hand
in Hand mit industriepolitischen Maßnahmen, die die technologische Souveränität
Europas erhöhen. Dieses Update sehen wir als Schlüssel: Nur mit einer
zielgerichteten Innovationsstrategie für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft wird
es uns gelingen, Klima- und Biodiversitätskrisen zu bewältigen, echte
Nachhaltigkeit zu verwirklichen und unsere freiheitliche Demokratie ins digitale
Zeitalter zu übertragen.
Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung haben einen hohen Stellenwert in
unserer Gesellschaft. Die bisherige F&I-Politik funktioniert allerdings in
weiten Teilen unkoordiniert, nach dem Gießkannenprinzip und bringt zu wenig
nachhaltigen Ertrag. An der erfolgreichen Markteinführung einer neuen
Problemlösung sind eine Vielzahl von Akteur*innen beteiligt – in der
Wissenschaft und im Design, in Behörden und Zertifizierungsagenturen, in
Unternehmen und Haushalten. Um das Zusammenspiel dieser Akteur*innen zu
verbessern, braucht es eine F&I-Politik mit stärkerem Fokus, effizienterer
Steuerung und Synergienutzung sowie mehr Transparenz und Eigendynamik im
Gesamtsystem.
Bisherige Rahmenbedingungen sind so gesetzt, dass etablierte Firmen vor der
potentiellen Konkurrenz innovativer Newcomer geschützt sind. Investitions- und
Wagniskapital, das guten Ideen bei Markteintritt und Skalierung hilft, ist in
Deutschland nicht nur knapp – es ist auch sehr wenigen Technologiezweigen und
Unternehmenstypen vorbehalten. Die Gründungsquote ist seit Jahren zumeist
rückläufig (KfW Gründungsmonitor[2]) und bleibt im internationalen Vergleich
(GEM[3]) unbefriedigend. Noch immer kommen vielversprechende Ergebnisse der
angewandten Forschung in keinerlei Umsetzung. Noch immer sind Forschung,
Gründung und Innovation eine Männerdomäne. Die Bedeutung von Weiterbildung,
nicht-technologischer und sozialer Innovationen wird systematisch unterschätzt.
Das verarbeitende Gewerbe importiert unvermindert ein Drittel seiner Rohstoffe.
Gleichzeitig stagnieren Recycling-Aktivitäten. Derweil setzt Politik auf globale
Führerschaft in Schlüsseltechnologien, Exportmaximierung und die Abwerbung von
Forscher*innen aus anderen Weltregionen, statt auf reale gesellschaftliche
Bedürfnisse und Nachhaltigkeit. Aus staatlichen Investitionen in neues Wissen
entstehen kaum Rückflüsse, weil daraus nur selten öffentliches Miteigentum an
Patenten und Unternehmen entwickelt wird. All dies bremst die sozio-ökologische
Transformation aus.
Deshalb wollen wir eine Forschungs- und Innovationspolitik, die verantwortlich
auf das gesellschaftliche Gemeinwohl und die global vereinbarten Ziele einer
nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet ist.
Dabei befasst sich dieses Papier ausdrücklich nicht mit Grundlagenforschung.
Niemand kann heute wissen oder beurteilen, welche Erkenntnisse etwa der Natur-,
Sozial- oder Geisteswissenschaften sich morgen als bedeutsam herausstellen:
Grundlagenforschung muss daher allein vom Erkenntnisinteresse geleitet und frei
von Verwertungsinteressen sein. In der angewandten Forschung, etwa in den
Gesellschafts-, Ingenieur- oder Agrarwissenschaften ist der Anwendungsbezug
hingegen in der Regel klar. Dort wo der Staat mit der Finanzierung von
Ressortforschung, von Drittmittelforschung (jenseits der Grundfinanzierung) an
Hochschulen oder Forschungsinstitutionen oder von Unternehmens-seitig
initiierter Gemeinschaftsforschung tätig wird, wollen wir diese Förderung an
aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnissen ausrichten und die sozial-ökologische
Transformation stärken.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen will darauf hinwirken, dass
Bündnis 90/DIE GRÜNEN will eine Neuausrichtung der F&I-Politik gemeinsam mit
allen gesellschaftlichen Gruppen einleiten, denn Innovationen sind ein
kollektives Anliegen.
Derzeit obliegt es einer Runde von Staatssekretär*innen, die
innovationspolitischen Agenden der verschiedenen Ministerien sowie ressort-
übergreifende Strategien zu harmonisieren. Dennoch sind die
Förderungsinstrumente des BMBF und BMWi kaum verzahnt und andere Ministerien
betreiben separat eigene Forschungsinfrastrukturen. Dies hat zur Folge, dass
Initiativen wie die Nationale Wasserstoffstrategie, Digitalisierungsstrategie,
Bioökonomie-, Gründungsförderung und regionale Strukturpolitik sich in einem
regelrechten Förder-Dschungel verlieren.
In den vergangenen Jahren wurde zudem eine steigende Zahl von Beiräten, Gremien,
Think-Tanks und auch neuen Forschungs- und Beratungsinstituten (z.B. IASS, WITI)
gegründet. Die Weiterentwicklung der Kapazitäten in Ministerien, Behörden und
Verwaltung blieb dagegen zurück. Wirtschaft, Wissenschaft, NGOs und andere
Interessenvertreter*innen nehmen über Beiräte und andere Kanäle Einfluss auf
Prioritätensetzung und Vergabemodalitäten für Fördermittel. Daraus ergibt sich
ein verwirrendes Nebeneinander von Strategien mit unklarer Priorität und
Intransparenz darüber, welche Prozesse zu spezifischen Zielsetzungen und
Instrumenten geführt haben. Die Folgen sind Misstrauen in politische
Verantwortlichkeit und Zweifel an der Legitimität von Entscheidungen.
Hinzu kommt der Mangel an Diversität: Frauen und Personen mit
Migrationshintergrund sind in Forschung und Innovation nach wie vor deutlich
unterrepräsentiert. Dies gilt für die Leitungsfunktionen in Wissenschaft,
Wirtschaft und Finanzsektor ebenso sowie für Entscheidungsgremien zur
Fördermittelvergabe und den Kreis der Begünstigten von Zuschüssen und Förderung.
Dies hat zur Folge, dass Forschung eher an männlichen Interessen und
Datenerhebung an männlichen Normen ausgerichtet ist. Männliche Präferenzen
bestimmen materielle und digitale Infrastrukturen sowie Förderinstrumente und
Lösungsdesigns.
Für ein konzertiertes Zusammenwirken fehlt zudem die Abstimmung zwischen den
politischen Ebenen: F&I-Impulse aus der Europäischen Kommission stehen bislang
häufig unverbunden neben Programmen von Bundes- und Landesregierungen.
Doppelförderungen, „window dressing“ zur Einwerbung von Ressourcen der höheren
Ebenen und Ausschluss spezifischer Akteur*innen sind nur einige Beispiele der zu
beobachtenden Friktionen.
Mit der Hightech-Strategie 2025 hat sich das BMBF erstmalig zur Ausrichtung der
Forschungspolitik am Menschen bekannt und 12 „Missionen“ definiert. Es fehlt
allerdings eine glaubhafte Mobilisierung der Akteur*innen in den relevanten
Innovationssystemen. Die Auswahl der Themenfelder entstand unter eingeschränkter
Beteiligung der Gesellschaft. Die Verzahnung mit den Themenfeldern der F&I-
Förderung anderer Ressorts ist intransparent. Es gibt keine Spezifizierung
konkreter Ziele.
Effiziente nachhaltige F&I-Politik braucht eine klare Missionsorientierung. Dazu
gehören:
Aus der Perspektive von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN priorisieren wir Innovations- und
Gründungsvorhaben, die
Ein konsistentes politisches Handeln, das die Zukunft mit Hilfe von
Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über F&I-Politik gestalten will,
erfordert Legitimation durch gesellschaftliche Auseinandersetzung zu Werten und
Zielen.
Die Abstimmungsmodalitäten und fragmentierten Beteiligungsmechanismen bedürfen
also einer Reform, die andere Zuschnitte von Ministerien, neue Gremien oder
Foren sowie andere Mechanismen mitdenkt und über eine Integration von „bottom-
up“ und „top-down“-Impulsen eine klare Ausrichtung unter fairer Berücksichtigung
regionaler und sektoraler Unterschiede ermöglicht. Die reale Umsetzung
wirkungsorientierter und transdisziplinärer F&I-Politik für die Transformation
benötigt außerdem reale Räume vor Ort und virtuelle Plattformen für das
Zusammenfließen verschiedener Formen von Akteur*innenwissen.
Wir schlagen daher eine Strukturreform für Good Governance mit folgenden
Elementen vor:
Aktuell setzten die Instrumente des BMBF, BMWi sowie einzelner Ressorts primär
bei der angebotsseitigen Stärkung der Kapazitäten von Akteur*innen an. Die
Nachfrage-Seite und Marktentwicklung werden vernachlässigt. Neues Wissen und
eine gute Idee werden jedoch erst dann zur Innovation, wenn sie Anwendung und
einen Markt finden. Es ist unbefriedigend und eine Verschwendung von Ressourcen,
wenn zwar Ziele der anwendungsorientierten Forschung zu 75% erreicht wurden,
sich daraus aber keinerlei soziale, wirtschaftliche oder ökologische Wirkung
ableitet, weil die Nutzung und Umsetzung des neuen Wissens nicht mitbedacht
wurde. Gleiches gilt für das Verstauben von funktionsfähigen Prototypen bei
Gemeinwohl-Initiativen, KMU und Gründer*innen aufgrund von Umsetzungshürden im
sozialen, wirtschaftlichen oder regulativen Umfeld. Deshalb braucht es ein
Update der Förderinstrumente, so dass staatliche Nachfrage innovationsfördernde
Wirkung in Richtung sozialökologischer Transformation entfalten kann.
Zudem werden technologische Regime auf nationaler, europäischer und
internationaler Ebene durch Normen, Prüfstandards und Zertifizierungsoptionen
definiert. Dieser Rahmen ist für die existierende Wirtschaft gestaltet – aber
nicht für das (radikal) Neue. Im Interesse der sozialökologischen Transformation
müssen wir hier Optionen der Flexibilisierung, beschleunigten Anpassung und
aktiven (Re-) Definition prüfen (Sandbox Thinking) und in Angriff nehmen.
Für ein Update der F&I-Politik in der kommenden Legislaturperiode schlagen wir
im Folgenden wichtige Schwerpunkte vor. Grundsätzlich priorisieren
Im Interesse der Krisenfestigkeit (Resilienz) und in Anbetracht der Schwächen,
die mit der Corona-Pandemie, den Hitzewellen und Überflutungen in den letzten
Jahren bereits zutage getreten sind, müssen wir eine Sichtung der
Wertschöpfungsketten, Infrastrukturen und derzeitigen Wissensbestände auf den
Weg bringen, die für die Grundversorgung der Bevölkerung entscheidend sind.
Unabdingbar erscheinen: physische Sicherheit (z. B. bei Extremwetterlagen),
Nahrungsmittel und sauberes Wasser, Wohnraum, Energie, Gesundheitsdienste,
Medikamente und Medizinprodukte, Bildung sowie digitale Anbindung und
Kommunikation.
Es bedarf dazu einer Klärung der Ausgangsbasis auf lokaler, regionaler und
nationaler Ebene mittels transdisziplinärer Forschung. In gesellschaftlicher
Diskussion ist im Anschluss zu entscheiden, inwieweit und unter welchen
Bedingungen relevante lokale, regionale, nationale und grenzüberschreitende
Wertschöpfungskettenvollständig sind oder geschlossen werden sollen und können.
Es ist dabei jeweils zu definieren, wie ein höheres Maß an Versorgungssicherheit
in Bezug auf bestimmte Produktgruppen und Dienstleistungen in den kommenden fünf
Jahren erreicht werden kann und soll. Dies betrifft auch Aspekte von
Reaktionsfähigkeit und –geschwindigkeit im Krisenfall. Das Potenzial von
Szenario-Analysen, Risikoabschätzungen und Modellierung ist auszunutzen, um ggf.
ein Kosten-Nutzen-Optimum für das Vorhalten von Notfall-Infrastrukturen und
Materialien zu ermitteln.
Die sozio-ökonomische Transformation verlangt große Veränderungsbereitschaft von
der Privatwirtschaft. Auch Zivilgesellschaft, öffentliche Unternehmen und
Verwaltungen sind gleichermaßen gefordert, ihren Beitrag zu leisten. An vielen
Stellen hält derzeit die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen mit der
Veränderungsgeschwindigkeit in Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft nicht
Schritt. Insbesondere die Geschwindigkeit von Planungsverfahren für den Umbau
von Energieversorgung, Mobilität und Wohnen ist zu beschleunigen. Zudem sollten
sich bestehende öffentliche Angebote zusammen mit sozialen Innovationen und
Digitalisierung verändern. Insgesamt braucht es geeignete Mobilisierungs-,
Qualifizierungs- und Unterstützungsangebote für diesen Wandel. Gefundene
Lösungen in Zivilgesellschaft und Verwaltungen wollen wir zukünftig auch mit der
Frage evaluieren, wie ihre Chancen auf Skalierung stehen.
Mit dem Update streben wir eine Umorientierung der bestehenden finanziellen
Förderinstrumente auf Nachhaltigkeitsziele an (z.B. HTGF, Agentur für
Sprunginnovation, ERP-Kapital, ZIM, KMU-Innovativ, etc.). Wir wollen außerdem
mit Entbürokratisierung und konsequenter Digitalisierung eine Beschleunigung der
Verfahren erreichen.
Mit dem Forschungszulagengesetz steht die Forschungspolitik seit dem 1. Januar
2020 in Deutschland auf drei Säulen: der Förderung der Grundlagenforschung, der
direkten FuE-Projektförderung und der indirekten steuerlichen
Forschungsförderung. Nach Ansicht des BMWi liegt der Vorteil dieser Förderung in
ihrer Planbarkeit. Doch Gründer*innen, die zunächst Verluste bilanzieren, und
kapitalschwache KMU profitieren nicht. Dazu urteilte die OECD in ihrem jüngsten
Report, die ungerichtete steuerliche Förderung nähre erwünschte genauso wie eher
unerwünschte Innovationen. Das Instrument sei zudem eher geeignet, kleinere
Verbesserungen von Prozessen oder Produkten zu befördern – nicht dazu,
grundlegende Neuerungen auf den Weg zu bringen (OECD, 2021). Wir plädieren daher
für die Abschaffung.
Der Zugang zu geduldigem Kapital ist für Gründer*innen mit anspruchsvollen
technologischen oder nicht-technologischen Vorhaben essenziell, wenn die Risiken
hoch und der Entwicklungszeitraum vergleichsweise lang ist. Dafür wollen wir
staatliche Beteiligungen und Garantien substantiell ausweiten (zum Beispiel mit
einem öffentlichen professionell geführten Innovationsfonds) und die
Bezuschussung von privaten oder gewerblichen (VC Firmen) Investoren in junge
Unternehmen zurücknehmen (Programm INVEST). Damit streben wir beste Bedingungen
sowohl für schnell-wachsende Startups als auch für andere Gründer*innen an. Im
Erfolgsfall kommen Rückflüsse wieder der Allgemeinheit zugute.
Parallel sind in anderen Politikfeldern kulturelle Veränderungen (z. B. der
deutschen Risikoaversion) ebenso anzustoßen, wie eine Aktualisierung der
Finanzmarktregulierung u. a. für ein Mehr an breitgestreuter privater
Investitionsbeteiligung (Co- und Crowd Investments), die Verknüpfung von
Investmentstrategien mit sozialen oder ökologischen Zielen (Impact Finance),
oder die Kombination von Kapital aus öffentlichen, philanthropischen und
privaten Quellen (Blended Finance).
Die Wertschöpfungsketten für z. B. Nahrungsmittel oder Baustoffe unterliegen in
Deutschland europäischer Regulierung und Zertifizierung und sind von
internationalen Handelsabkommen betroffen. Sie beinhalten jedoch auch das
Potenzial der regionalen oder nationalen Schließung von Stoffkreisläufen.
Angesichts der relativen Ressourcenarmut der Bundesrepublik Deutschland ist dies
der beste Weg, um endliche inländische Ressourcen zu schonen, erneuerbare
Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften und die Abhängigkeit von
Rohstoffimporten zu vermindern, um damit insgesamt die Resilienz der
Wertschöpfungsketten zu erhöhen.
Als Hauptziele für die kommenden fünf Jahren (Basisjahr 2020) schlagen wir vor:
a) die Verminderung der Verwendung nicht-nachwachsender Baustoffe um mindestens
30%,
b) die Erhöhung der Verwendung von Recyklaten im Bausektor um 100%,
c) ein 100%tiges Recycling von Verpackungsmaterialien,
d) 50%tige Phosphor-Rückgewinnung sowie
e) die Entwicklung bzw. Optimierung recyclebarer Energiespeicher/Batterien.
Innovative Verfahren und nachhaltige Produkte sind häufig durch die Normen und
Standards behindert, die von etablierten Anbietern derselben Produktkategorien
gesetzt und in europäische und nationale Regulierungaufgenommen wurden.
Innovationsvorhaben sind daher enger zu begleiten, um ggf. Rahmenbedingungen
anzupassen. Ferner sind Gründer*innen und KMU mit berechtigtem Interesse an der
Aktualisierung von Normen und Standards (z. B. DIN, CE) oder einer
Modernisierung und Beschleunigung von Prüfverfahren und Zertifizierung durch
Aufwandsentschädigungen oder ergänzende wissenschaftliche Expertise dabei zu
unterstützen, diese Interessen durchzusetzen. In einigen Industriebranchen (z.
B. grüne Chemie, Plastikindustrie, Touristikwirtschaft) kommt staatliche
Regulierung zu langsam voran und deckt globale Wertschöpfungsketten nicht ab.
Hier sind Gründer*innen und KMU auch auf der internationalen Ebene (private und
supranationale Vereinbarungen) zu unterstützen, ihre Interessen effektiv in
Verhandlungen einzubringen.
Wirtschaft muss nachhaltig werden. Ein wichtiger Aspekt ist die Ermittlung des
ökologischen Fußabdrucks und Lebenszyklusanalysen von Produkten und
Dienstleistungen. Diese sind die Ausgangsbasis für Anstrengungen der
Unternehmen, negative Wirkungen auf die menschliche Gesundheit, Sozialstrukturen
und die Umwelt zu vermeiden oder zu vermindern - entlang der gesamten
Wertschöpfungskette. Sie geben sowohl der öffentlichen Beschaffung als auch dem
Handel und Endverbraucher*innen die Möglichkeit, informierte Entscheidungen bei
ihren Einkäufen zu treffen. Wir wollen insgesamt die Wissensbasis verbreitern
und stärken, die es für einheitliche und damit vergleichbare Analysen
unvermindert braucht. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Gründer*innen
wollen wir finanziell und technisch dabei unterstützen, Lebenszyklusanalysen für
ihre Produkte und Dienstleistungen zu erstellen. Hierzu sind Investitionen in
den Aufbau öffentlicher und privater Beratungskompetenz notwendig. Die
Ergebnisse qualitätskontrollierter und zunehmend standardisierter Analysen
können dann in ein öffentlich zugängliches Transparenzregister[4]einfließen.
Etwa 35% der Staatsausgaben dienen der Beschaffung von Produkten und entfalten
damit Markt- und Umweltwirkungen. Die Gründung eines Kompetenzzentrums
innovative Beschaffung (KOINNO) hat bisher jedoch noch keinen Durchbruch bei der
Nutzung der gesetzlichen Freiräume für die Anwendung des MEAT-Kriteriums (Most
Economically Advantageous Tender = wirtschaftlich günstigstes Angebot unter
Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Gesamtkosten durch
Lebenszyklusanalyse) in der öffentlichen Beschaffung erreicht. Dies bedeutet
auch, ESG-Kriterien (z.B. ökologische und Sozialstandards oder
Lieferkettennachweise) in die Spezifikationen aufzunehmen. Deshalb unterstützen
wir die Bundesländer mit degressiver Förderung beim Aufbau von Koordinierungs-
und Kompetenzzentren für Öffentliche Beschaffung. Gleichzeitig wollen wir in
Deutschland die europäischen Förderinstrumente[5] in diesem Bereich mit
vereinfachten Konditionen umsetzen. Die vorkommerzielle Auftragsvergabe durch
jeweils zwei bis drei potentielle öffentliche Kund*innen erlaubt die zielgenaue
Initiierung von nachhaltigen Innovationen in relevanten Bereichen (insb.
Energie, Bau, Mobilität). Potentielle Lösungsanbieter*innen arbeiten dann direkt
für ihre Erstkund*innen und nehmen ggf. eine erste Hürde für den Markteintritt.
Voraussetzung für innovative Wissenschaft ist eine gute Grundfinanzierung, eine
inter- und transdisziplinäre und internationale Ausrichtung und gute
Arbeitsbedingungen an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen. So wird
kreatives und innovatives Arbeiten möglich. Für Wissenschaftskooperationen
bietet die europäische Forschungsförderung einen wichtigen Rahmen. Es ist für
Deutschland weder realistisch noch nötig, in allen Bereichen an der Front der
globalen Spitzenforschung zu stehen. Dafür braucht es ein abgestimmtes
europäisches Vorgehen. Zur Unterstützung derMissionsorientierung wollen wir vor
allem eine breite Verankerung von Nachhaltigkeitsthemen in allen Disziplinen
aller Hochschulen vorantreiben.
An Hochschulen sollten die Rahmenbedingungen zur Förderung von
Innovationskompetenzen, die nicht nur auf technologische sondern auch soziale
und ökologische Transformation ausgerichtet sind und systemische
Herangehensweisen betonen, verbessert werden. Dazu gehört eine Ausweitung der
interdisziplinären und projektbasierten Lernens (inkl. challenge-driven
learning). Anpassungen der Lehrdeputate und didaktische Weiterbildung der
Lehrenden sollten diese Lernformen in der Breite ermöglichen. Die wachsende
Ausrichtung vieler Hochschulen an SDGs in Forschung und Lehre, sowie das
European Entrepreneurial Competence Framework[6], in dem die gestaltende
Handlungskompetenz von Studierenden in den Fokus rückt, beschreiben eine gute
Zielorientierung.
Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) können einen besonderen Beitrag
zum Entstehen und zur Verbreitung von Innovationen leisten. Um das Potenzial der
anwendungsorientierten Forschung und Lehre besser zu nutzen, wollen wir einen
Mittelbau aufbauen, das Promotionsrecht geeigneten Fachbereichen verleihen und
das duale Studium stärken.
Eine hohe Qualität des deutschen Bildungs- und Ausbildungsstandards ist
unabdingbare Voraussetzung für die ökologisch-soziale Transformation. Die
europäisch vereinbarte Anerkennung der Gleichwertigkeit von Meisterprüfungen im
Handwerk („Bachelor Professional“ wurde 2020 als ergänzende Berufsbezeichnung
eingeführt) ist nun endlich umgesetzt. Für die Durchlässigkeit des
Bildungssystems wollen wir die Öffnung von Hochschulen dahingehend
weiterentwickeln, dass auch technische, soziale und Design-orientierte
Studiengänge für die Weiterqualifizierung von Meister*innen angeboten werden und
dafür niederschwellige Einstiegsmöglichkeiten schaffen.
Geistiges Eigentum umfasst neben dem künstlerischen Eigentum, Patente, Marken
sowie die verwandten Schutzrechte. Die Anerkennung und Zertifizierung von
geistigem Eigentum wurde global eingeführt, damit sich Anstrengungen für die
Entwicklung innovativer Güter und Dienstleistungen wirtschaftlich lohnen:
Erfinder*innen und Künstler*innen sind durch Eigentumsrechte für eine bestimmte
Zeit vor der Kopierung ihrer Werke geschützt. Nicht nur in Deutschland, sondern
auch auf EU-Ebene (GRCh[7], EPO[8]) und international (WIPO[9], WTO[10]) wird
geistiges Eigentum verbrieft und geschützt. Zuletzt ist 2014 das Nagoya-
Protokoll in Kraft getreten, das den Zugang zu genetischen Ressourcen bzw. dem
darauf bezogenem traditionellem Wissen regelt. Hier wurde ein völkerrechtlich
bindender Vertrag gestaltet, der das Ende der Ausbeutung indigenen Wissens durch
globale Pharma-Konzerne einleiten sollte.
Kritik an den geltenden Regimen kommt von vielen Seiten. Keimfähiges Saatgut
ohne Patentschutz ist mittlerweile eine Rarität [11]. Globale Konzerne horten
Genbanken, deren Inhalte sie vor 2014 beschafft haben. Gesundheitsdiensten und
Medikamenten gilt spätestens seit der Ebola-Krise erhöhte Aufmerksamkeit [12].
Trotz globaler Resolutionen [13] zeigt die Covid-19-Pandemie jedoch erneut die
Dringlichkeit von Neuregelungen auf. Europäische Nationalstaaten finanzieren den
Umsatz und die Gewinne von Konzernen, deren Forschungserfolge sie bereits durch
massive Forschungsförderung ermöglicht haben. Grundsätzlich schätzt die WHO,
dass ein Drittel aller Patient*innen weltweit aufgrund hoher Preise und anderer
struktureller Hindernisse keinen Zugang zu dringend notwendigen benötigten
Medikamenten hat [14]. Dies erhöht die Gefahr weiterer Pandemien.
Wir meinen: Öffentliche Güter müssen öffentlich verfügbar sein und die
Verantwortung für den Zugang zu globalen öffentliche Güter muss bei
supranationalen Institutionen liegen. Ihre Steuerung kann nicht privaten
Gewinnmaximierungs-Kalkülen überlassen bleiben.
Verweise
[1] Schreibgruppe: Kerstin Wilde (Leipzig), Dr. Nicole Rudner (Berlin), Judith
Bogner (Mühldorf), Anna Lanfermann (Chemnitz) mit freundlicher Unterstützung von
Nils Handler, Joachim Lenz und Huber Schübel sowie von Martin Scheuch bzw. der
BAG Hochschule, Wissenschaft und Technologiepolitik
[2] https://www.kfw.de/KfW-Konzern/KfW-Research/KfW-Gr%C3%BCndungsmonitor.html
[3] https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/gruendung/studie/global-
entrepreneurship-monitor-20192020/
[4] Entsprechende Bemühungen laufen beispielsweise – unter Beteiligung der
deutschen Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe - bereits für biobasierte
Produkte: https://www.biobasedconsultancy.com/de/database und werden durch
Beschaffungsratgeber ergänzt: https://ec.europa.eu/docsroom/documents/31986.
Weiterhin werden Datenbanken z. B. auch bei der Europäischen Chemikalienagentur
(https://echa.europa.eu/de/scip) und an anderen Stellen ausgebaut.
[5] https://www.koinno-bmwi.de/eu-foerderung/foerdermoeglichkeiten/
[6] https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-
research-reports/entrecomp-entrepreneurship-competence-framework
[7] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:12010P
[8] https://www.epo.org/index_de.html
[9] https://www.wipo.int/portal/en/index.html
[10] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=LEGISSUM%3Ar11013
[11] http://www.farmersrights.org/about/ und
https://www.bundestag.de/resource/blob/425344/cbe722e2c8a9da74fea318d9ef610190/D-
okumentation-von-Brot-fuer-die-Welt-data.pdf
[12] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/DEVE-PR-661884_EN.pdf
[13] https://rm.coe.int/a-res-74-274-e/16809e40f4
[14] https://www.patents-kill.org/deutsch/
Zunächst ist es ja ein BAG-Papier